Es war einmal in uralter Zeit oder war es erst gestern?
Da irrte ein uralter Mann im Schneesturm durch die Nacht. Halberfroren, schleppte er sich schwer gestützt auf seinen Stab hügelaufwärts. Er war vor einigen Stunden vom Weg angekommen, tief in Gedanken versunken. Die Bäume des Waldes waren nicht mehr zu erkennen. Nur noch tosendes Weiß und bittere Kälte.
Immer weiter ging er, Schritt für Schritt. In seinem Inneren wurde es mit jedem Schritt stiller und stiller. Denn der Tod ist leise.
Gerade eben wollte er sich in den Schnee legen, um endlich zu ruhen, als er in der Ferne einen Lichtschein flackern sah.
Etwas in ihm berührt, setzte er den nächsten Schritt und den nächsten. Immer krummer und gebeugter werdend.
Mit letzter Kraft gelangte er an den Lichtschein, eine kleine Laterne, die oberhalb eines Tores hing. Völlig entkräftet fiel er einfach nach vorn und durch die Türe ins Innere des Hauses.
Drinnen saß eine uralte Frau am Feuer und entwirrte alte Wolle. Sie spürte einen scharfen Luftzug und hörte ein tiefes Poltern.
Seufzend ordnete sie ihre alten Knochen, erhob sich aus dem Sessel und wandte sich zur Türe. Dort lag der altegraute Mann, mehr tot als lebendig. Sie zog ihn langsam und Zentimeter für Zentimeter nahe ans Feuer. Entkleidete ihn, wickelte ihn in die alte Wolle und begann ihn sanft im Arm zu wiegen.
Die ganze Nacht über summte sie ihm alte Weisen von Licht, Heilung und Liebe in die Ohren, bis tief in die Seele.
Und in ihren Armen, getragen von den Wiegenliedern der lebenigen Welten, verjüngte sich der Alte auf wundersame Weise.
Bis am Morgen des neuen Tages ein goldener Jüngling in ihren Arme lag und sie anstrahlte.
Sie gab ihm einen Klaps, zupfte ihm drei Haare von der Brust und er sprang auf und lief hinaus in den strahlenenden Morgen.
Die alte Frau lächelte ihm nach und begann sich ein Süppchen zu kochen, das Haus zu fegen, kurz, ihren Tagesangelegenheiten nachzugehen.
Als es Abend wurde, entzündete sie erneut die Laterne an ihrer Tür, denn es würde wieder eine stürmische Nacht werden.
Und sie setzte sich lächelnd mit ihrer alten Wolle ans knisternde Feuer.
Meine Version von dem Märchen "Die 3 Goldhaare"
✨👣🌍💙🤍
Geschichten und Märchen erinnern innere Wege der Seele. Spuren im Staub. Wir sind Sternenreisende und gleichzeitig Nachkommen der Ureinwohner dieser Lande. Beides.
Worte und Geschichten erinnern 😊❤️
Und das Märchen der Drei Goldhaare habe ich seit gestern immer wieder da. Genau in dieser Zeit. Viele schleppen sich todmüde, zu Tode erschöpft, dem Tode NAHE durchs Land. Eine Erinnerung. Halte nach dem Licht im Dunkeln Ausschau. Und dann bewege dich drauf zu, auch wenn es buchstäblich die letzten Kräfte fordert. Lass dich halten von der Alten. Schlafe den erholsamen, heilsamen Schlaf der Verjüngung, also der Essenz. In den Armen gewogen, am Feuer gewärmt, um dann erstarkt wieder in die Welt zu gehen. Frisch, strahlend und mit drei Haaren weniger. Altes das ausgedient hat, das zurück bleibt und bewusst ausgerissen wird.
Und für manche geht es genau jetzt in tiefere Gefilde und es braucht mehr als eine Nacht am Feuer der Weisen Alten. Ja, Wege abseits des Feuers in den Tiefen der Wälder. Und dieser Zeitpunkt wird nicht bestimmt, kann weder herbeigeführt noch verhindert werden. Es kommt wenn es kommt. Und auch hier gibt es Spuren im Sand. Die selbst gelegten, aus vorhergehenden Reisen, als auch in Form von Geschichten und alten Weisen.
Weibliche Wege.
Menschliche Wege.
❤️👣
Folge deinen Spuren 👣✨🌍
11/2021
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